Brief 6 - Wie schmeckt das Leben?

Liebes Paar,

„Mach was draus!“ Vielleicht kennt ihr die Fernsehsendung mit diesem Slogan. Darin werden gebrauchte Gegenstände in einem kreativen Upcycling-Wettbewerb in einzigartige Designerstücke verwandelt. Und es werden dabei richtig originelle Ideen geboren, die zuvor oft nicht vorstellbar gewesen wären. Eben: Mach was draus! Der Titel kam mir in den Sinn beim Gedankensammeln zum Thema dieses Briefes: Wie schmeckt das Leben? Wenn es lautere leckere Zutaten sind, die mein Leben gerade ausmachen, dann ist es ein Leichtes, etwas Wohlschmeckendes daraus zu machen.

Doch was ist, wenn uns schwer verdauliche Zutaten auf den Lebensweg geworfen werden? Das Leben ist so gar nicht zimperlich: noch immer Corona und die Folgen, Katastrophe Ukraine, Flüchtlinge, Energiechaos, Umweltkrise, explodierende Kosten allerorten, … Wer hat schon Lust auf diese Bitterkräuter? Was soll man daraus nur machen? Keine:Keiner von uns hat sie ausgesucht und sie entsprechen wohl auch kaum dem persönlichen Wunschgeschmack.

Und mittendrin das eigene Leben, die Partnerschaft, unsere Familie. Auch da gibt es manchmal Bitteres. Mir kommt mein Vater in den Sinn. Wenn ich als junges Mädchen in einen Liebesroman versunken war, stellte er sich manchmal vor mich hin, breitete beide Arme weit aus und karikierte mit salbungsvoller Stimme: „Und sie gingen Arm in Arm der sinkenden Sonne entgegen…“. Das war seine Art, mir humorvoll zu verstehen zu geben, dass das ersehnte Happyend wohl kein glückseliger Dauerzustand bleiben würde. Nach (m)einem jugendlichen Augenverdrehen „Mensch, Papa, du hast doch keine Ahnung“, mussten wir beide lachen. An diese Situation denke ich lächelnd-wehmütig, wenn das Leben mich oder uns als Paar herausfordert: Mach(t) was draus!

„Mach(t) was draus!“

„Mach(t) was draus!“ Das hat etwas Schnörkelloses, Nüchternes an sich. Es passt in die Fastenzeit. Eine direkte Aufforderung ohne viel Federlesen: „Stellt euch dem Leben, tut was, handelt!“ Das setzt irgendwie so selbstverständlich auch die Power dazu voraus: „Geht dran, ihr schafft das, los geht‘s!“

Beim Schreiben merke ich: Mir fehlt hier ein Zwischenschritt. Dieser Gedankengang geht mir zu schnell, ist zu leicht dahergesagt. So ein Appell kann überfordern. Ein Wort von Erich Fried fällt mir ein: „Es ist, was es ist, sagt die Liebe.“ Diese Aussage schreibe ich gerne zweimal: „Es ist, was es ist, sagt die Liebe.“ Ich höre darin eine Einladung, innezuhalten, nicht vorschnell zu bewerten, sondern hinzuschauen und die Zutaten des Lebens ohne Abwehr wahrzunehmen. Kein vorschnelles „Das schmeckt mir nicht!“ oder gar „Das schmeckt ja zum …!“ und weg damit in den Abfalleimer. Das ist gerade bei bitteren Lebenszutaten eine Entscheidung über jedes Gefühl hinaus.

Innehalten, Schmecken im Hier und Jetzt. Wozu soll das denn gut sein? Vielleicht, weil sich der Geschmackssinn für das Leben, so wie es ist, erst im Verkosten entfaltet?  Ich merke, dass es wichtig ist, eine Situation zuerst anzunehmen, bevor ich auf sie reagiere. Was für eine Herausforderung! Meine Erfahrung ist: Nur so kann ich schrittweise und tiefer verstehen, was wirklich ist und worum es jetzt für mich und uns gehen kann. Erst dadurch kommen in allen Grenzen auch die Gestaltungsspielräume in unserem Leben klarer in den Blick: Was ist jetzt konkret möglich und was ist an der Reihe? Das geht wohl nur, wenn die Liebe das erste Worte hat: Unser Ja zu uns und unserem Leben, so, wie es ist. Diese Perspektive macht das Leben nicht einfacher und doch verändert sie den eigenen Blick entscheidend. „Es ist, was es ist, sagt die Liebe!“ Auf diesem Boden klingt „Mach(t) was draus!“ nach einer kraftvollen Zusage. Das lockt mich, es macht mich zuversichtlich, die Zutaten meines Lebens in kreativer Eigenregie auch gestalten zu können. Ich bin – wir sind – nicht einfach ausgeliefert. Wir können aus unseren Lebenszutaten unsere eigene, originelle Geschmackskomposition kreieren.

Etwas, was zunächst angesichts der äußeren Umstände nicht vorstellbar ist: Unser Leben - unser Designerstück. Und das gilt auch für uns als Paar. So könnte das Leben schmecken – trotz allem.

Herzliche Grüße
Claudia Leide

Es ist, was es ist

E. Fried: Es ist, was es ist

"Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe."

Impuls

  • Kreatives Upcyclen: ein Meisterwerk dafür ist der Fastnachtsbrunnen in Basel von Jean Tinguley.
    Gönnt euch zwei Minuten Inspiration: „Mach(t) was draus!“ 
    Vielleicht bekommt ihr beim Anschauen Ideen und Lust, aus altem „Gerümpel“ in eurem Haushalt gemeinsam etwas Verrücktes zu kreieren, das euch beiden gefällt (siehe unten)?
    • Eure „Macht was draus“- Erfahrungen Wie lange seid ihr beide schon zusammen? Ich bin sicher, in dieser Zeit habt ihr aus vielen verschiedenen Lebenszutaten bereits etwas Gutes gemacht! Gönnt euch das gemeinsame Innehalten und Wahrnehmen: Was haben wir schon zusammen bewältigt und wie ist uns das gelungen? Wodurch haben wir das (gemeinsam) geschafft? Sich das bewusst zu machen und es auszusprechen, bringt uns in Kontakt mit unseren Lebenskräften, unseren Werten und hat etwas Stärkendes. Eine gute Gelegenheit, einander zu danken für diese durchgestandenen Lebensherausforderungen und sich Mut zuzusprechen für jene, die vielleicht gerade jetzt zu bewältigen sind.

    Erst später zur Aktion dazu gestoßen? Hier sind die bisherigen Briefe: Brief 1 | Brief 2 | Brief 3 | Brief 4 | Brief 5 |

    Außerdem habt ihr hier auch während der laufenden Aktion noch die Möglichkeit euch anzumelden.

    Auf den Geschmack gekommen? Hier gibt's einen vertiefenden Impuls für euch!

    Bildquelle: Unsplash.com